Luftpost aus Afghanistan

55 Forscher, Wissenschaftler und Afghanistanexperten schrieben am 13.12.2010 in einem offenen Brief an den US-Präsidenten (PDF) Barack Obama über die verheerenden Zustände in Afghanistan und raten zu Verhandlungen mit den Taliban und einem sofortigen Truppenrückzug. Hier mal ein paar Auszüge:

Sehr geehrter Herr Präsident,

wir haben alle als Wissenschaftler, Experten oder Mitarbeiter von NGOs (von nichtstaatlichen Organisationen) in Afghanistan gearbeitet oder uns mit Afghanistan beschäftigt – einige von uns sogar jahrzehntelang. Deshalb sind wir zutiefst besorgt über den gegenwärtigen Verlauf des Krieges (in Afghanistan) und über das Fehlen glaubwürdiger Szenarien für die Zukunft. Dieser Krieg kostet inzwischen allein die USA jährlich mehr als 120 Milliarden Dollar. Das ist auf die Dauer untragbar. Außerdem nehmen die Verluste an Menschenleben ständig zu. Allein in diesem Jahr wurden in Afghanistan über 680 Soldaten der internationalen Koalition und mehrere Hundert Afghanen getötet, und das Jahr ist noch nicht zu Ende…

…Die Taliban sind jetzt eine nationale Bewegung, die auch in den Norden und den Westen des Landes vorgedrungen ist. Die Basen der ausländischen Truppen sind völlig von ihrer Umgebung isoliert und nicht mehr imstande, die Bevölkerung zu schützen. Die ausländischen Streitkräfte sind inzwischen schon länger in Afghanistan, als es die Rote Armee der Sowjetunion war…

…Ob uns das gefällt oder nicht, die Taliban werden auf lange Sicht ein wichtiger Faktor der politischen Landschaft Afghanistans bleiben, und wenn wir eine diplomatische Vereinbarung mit ihnen treffen wollen, werden wir versuchen müssen, mit ihnen zu verhandeln. Die Taliban-Führung hat bereits ihre Bereitschaft zu direkten Verhandlungen (mit den USA und der NATO) signalisiert, und es ist in unserem Interesse, mit ihr zu sprechen. Die Taliban wollen sich in erster Linie um die Zukunft Afghanistans kümmern und nicht – wie einige immer noch behaupten – einen globaler Dschihad zur Verbreitung des Islams organisieren. Ihre Verbindungen zu Al-Qaida – die es in Afghanistan überhaupt nicht mehr gibt – sind ohnehin schwach…

Selbst der Fortschrittsbericht (PDF) unserer Bundesregierung im Dezember 2010 enthält folgende Informationen:

…Die stetig wachsende Militärpräsenz hat bisher nicht zu einer signifikanten und nachhaltigen Verbesserung der Sicherheitslage geführt. Die Zahl der sicherheitsrelevanten Zwischenfälle (SRZ) hat im Laufe der ISAF‐Operation und insbesondere seit 2006 kontinuierlich zugenommen.  Die Bedrohung in Afghanistan ist weiterhin erheblich. Die Zahl der Zwischenfälle nahm in den ersten drei Quartalen 2010 im Verhältnis zum Vorjahr landesweit um 95% zu. Die Zahl der  Sprengfallen stieg um 105%!…

…In Afghanistan sind von Dezember 2001 bis November 2010 insgesamt 2.170 internationale ISAF Soldatinnen und Soldaten gefallen. 44 Soldaten der Bundeswehr mussten ihr Leben lassen. Drei deutsche Polizeibeamte fanden in Ausübung ihres Dienstes den Tod. Mit mehreren tausend gefallenen afghanischen Soldaten und im Dienst getöteten Polizisten seit 2001 hatten die afghanischen Sicherheitskräfte allerdings bei weitem die höchsten Verluste zu beklagen…

Interessant ist auch noch, das die Bundesregierung offen zugibt, dass Osama bin Laden vom CIA Unterstützung erhielt:

…Im Vergleich zu den Aktivitäten der Taliban sind die Aktionen von Al‐Qaida (AQ) in Afghanistan inzwischen weniger bedeutend. Das Terrornetzwerk wurde 1988 von Osama bin Laden gegründet, einem Sohn einer reichen saudi‐arabischen Unternehmerfamilie. Während des Kampfes gegen die sowjetische Besatzung Afghanistans erhielt bin Laden finanzielle, materielle und technische Unterstützung durch die CIA und aus SaudiArabien…

Natürlich wurden auch humanitäre Hilfen und Wiederaufbau geleistet, aber gemessen an den 9 Kriegsjahren sind diese verschwindend gering.

…Laut dem National Risk and Vulnerability Assessment (NRVA) hatten 2007/08 immerhin 58% der städtischen Bevölkerung, jedoch nur 19% der ländlichen Bevölkerung Zugang zu sauberem Trinkwasser (nationaler Durchschnitt: 27%)…

…Die installierten Kapazitäten zur Stromerzeugung sind in den letzten neun Jahren wieder um rund 139% gestiegen; der Zugang von Haushalten und Betrieben zu elektrischer Energie hat sich deutlich verbessert. Die installierten Kapazitäten sind von rund 430 MW (2001) auf 1.028 MW (September 2009) angewachsen…  …Zugang zu Stromversorgung überhaupt hatten 89,9% der Stadtbewohner und 32,5% der ländlichen Bevölkerung…

…Fast 80% der Afghanen leben auf dem Land. Dort ist die Armut besonders groß. Die ländliche Bevölkerung bezieht ihr Einkommen überwiegend aus der Land‐ und Viehwirtschaft… …Die landwirtschaftlichen Erträge wurden seit 2001 deutlich gesteigert, bleiben aber stark vom Niederschlag abhängig. Auch in guten Erntejahren kann sich Afghanistan wegen mangelnder Transport‐ und Lagerkapazität noch nicht selbst versorgen…

Der finanzielle Beitrag für zivilen Wiederaufbau und Entwicklung beträgt 430 Millionen Euro. Der militärische Einsatz beziffert sich jährlich mit Zins und Zinseszins auf gut 3 Milliarden Euro.

Es wird also nach wie vor in erster Linie ein Krieg geführt, den die Russen schon nicht gewinnen konnten.

Weitere Infos:

Das Original

Der Krieg in Afghanistan

Uranmunition in Afghanistan

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