Rechtsbeugung Internet

Wieder einmal ist das Internet der Dorn im Auge einiger Politiker. Der Balken der Verblendung wird für jedermann besonders sichtbar, wenn wieder einmal mit schöner Regelmässigkeit Stimmen laut werden, die durch ihr Geschrei eigentlich nur ihre technische Unkenntnis kaschieren. Aber auch das hat Kalkül und System. Denn zum einen werden so unwissende Bürger verunsichert und gefügig gemacht und zum anderen soll so ganz langsam durch die Hintertür die Zensur salonfähig gemacht werden. Natürlich alles im Namen der Sicherheit und Terrorbekämpfung.

Und so forderten unser Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich und der innenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Hans-Peter Uhl, im Namen der eigenen und der Volks-verdummung, die Anonymität im Internet aufzuheben. Da kam das Attentat von Norwegen wie gerufen, um mit der verlogenen Bürgersicherheitskeule um sich zu schlagen. Doch nach grossem Gegacker im Bundestag ruderte das Innenministerium mittlerweile wieder zurück; so war das alles nicht gemeint. Und damit das Ganze auch wirklich glaubwürdig rüberkam, schaltete sich noch kurz die Piratenpartei dazwischen:

Die Möglichkeit, sich anonym zu äußern, sei Voraussetzung für eine echte Meinungsfreiheit. “Herr Friedrich greift hier einen der Grundpfeiler unserer Demokratie an”, sagte der Parteivorsitzende Sebastian Nerz.

Und Schnitt/Klappe. Der Film für das Sommerlochkino ist im Kasten. Ein jeder durfte ein bisschen Demokratie spielen, Hans-Peter verbeugte sich artig und trat von der Bühne, bis nach der Sommerpause.

Eigentlich fehlte nur noch der Satz:“ Das Internet ist kein rechtsfreier Raum.“ Gut, diese Phrase ist schon so ausgelutscht, dass unser Sicherheitsminister sich etwas anderes einfallen liess:

Die Grundsätze der Rechtsordnung “müssen auch im Netz gelten”, Blogger sollten “mit offenem Visier” argumentieren.

Mit offenem Visier? Da fallen mir dann ganz spontan nur Polizeisturmgeschwader, Stuttgart 21 und Namensschilder zu ein. Letztere wurden von fast allen Bundesländern abgelehnt, ausser Berlin. Wenigstens die Hauptstadt sollte ein wenig Demokratie und Bürgernähe heucheln.

Aber jetzt mal Butter bei de Fische! Wo bitteschön herrscht Anonymität im Netz? Hab ich schon wieder was verpasst?

Spätestens bei der Einwahl über meinen Provider ist Schluss mit Inkognito. Anhand dieser „IP-Adresse“ kann so gut wie alles zurückverfolgt werden. Natürlich kann ich alle möglichen Anonymisierungsdienste dazwischen schalten, aber wer da nicht ein bisschen technisches Verständnis aufbringt ist verloren. Doch allein die Tatsache, dass ich solch einen Dienst in Anspruch nehmen muss, um mich frei im Netz bewegen zu können, ist schon ein empfindlicher Eingriff in meine Bürgerrechte. Niedersachsen macht’s vor und lässt keinen mehr rein, wenn sie/er Tor benutzt.

Man stelle sich mal nur einen freien Tag in der Woche vor, an dem sämtliche meiner Aktivitäten genaustens, mit Uhrzeit und Datum, protokolliert würden. Wann ich zum Essen gehe, welche Waren ich kaufe, welches Kino ich besucht habe, welche Verkehrsmittel ich benutzt und welche Freunde ich getroffen habe und wann ich wieder zu Hause war. Wahrscheinlich würde kein Mensch mehr in solch einem Land leben wollen. Doch genau das passiert im Internet.

Die IP-Adresse ist der ständige Begleiter bei allen Aktivitäten. Und fast jeder Anbieter von Internetseiten, dazu gehören auch die staatlichen, protokollieren ganz unauffällig den Besuch mit Datum und Uhrzeit. Wenn ich eine eMail abschicke ist der (Brief-)Kopf, der meist nur gekürzt angezeigt wird, ausführlicher, als wenn ich eine Bewerbung schreiben würde. Besonders schlimm sind sogenannte soziale Netzwerke, in denen mehr persönliche Daten über uns gespeichert werden, als in unserem Lebenslauf und beim Einwohnermeldeamt zusammen.

Und als Krönung der Volksverdummung spricht dann das allwachende Staatsauge vom rechtsfreien Raum im Internet. Wo soll der bitteschön sein? Natürlich unterliegt jegliche Tätigkeit im Internet unseren Gesetzen. Für Betrug im virtuellen Leben  wird man genauso bestraft wir für Betrug im realen Leben. Im Netz sind die Strafverfolgungen sogar noch härter. Selbst ernannte Ordnungshüter durchforsten permanent das Netz nach kleinen Ungereimtheiten und mahnen ab mit drakonischen Mitteln. Da reicht schon ein falscher Satz auf einer privaten Familienhomepage, um eine ganze Familie finanziell zu ruinieren und mundtot zu machen. Das Geschäftsmodell hat u. a. auch die Musikindustrie für sich entdeckt und erzielt mehr Gewinne durch Abmahnungen als durch Verkäufe. Ganz zu schweigen von dubiosen Anwaltskanzleien, die wie Pilze aus dem Boden schiessen und für Geld sogar ihr Berufsethos verkaufen, falls sie es jemals besessen haben. So betrachtet, ist da eher ein zügelloser wildwest Raum entstanden, legitimiert durch Staat und Gerichte. Natürlich sind nicht alle so, aber die schwarzen Schafe, welche nicht nur den den Ruf ihrer Zunft beschmutzen, lassen sich schon lange nicht mehr verstecken.

…noch mehr Geld durch abmahnen…


Der deutsche Michel mit seiner Standard-Internet-Flatrate geniesst weder Schutz, noch Anonymität. Wenn er abgemahnt wird, muss er den Beweis erbringen, dass er zu unrecht abgemahnt wurde. Als Beweis für seine Schuld reicht eine dynamische IP, die bei jeder Einwahl vom Provider neu generiert und nicht richterlich geprüft wird, und so sicher ist wie eine Täterbeschreibung bei Nacht und Nebel auf einen Kilometer Entfernung.

Auf der sicheren Seite sind nur die grossen Konzerne, Versandhäuser und Onlineshops welche auf unser Geld spekulieren mit ihren Onlineportalen. Sie protokollieren unsere Surf- und Einkaufsgewohnheiten, tauschen unsere Daten untereinander aus, damit wir dann als Belohnung auf den Folgeseiten mit Werbung zugekleistert werden. Davor gibt es dann keinen Schutz! Auch nicht, wenn Suchmaschinen und soziale Netzwerke mit unseren Daten Geschäfte machen und unsere Postfächer mit Spams zumüllen. Und für diese sanktionierte Schnüffelleitung zahlt der Bürger dann auch noch monatliche Beiträge.

Doch lauschen wir mal weiter den Worten unseres besorgten Innenministers:

Das Internet führt nach Ansicht Hans-Peter Friedrichs zu einer neuen Form radikalisierter Einzeltäter, die den Sicherheitsbehörden zunehmend Sorgen bereiteten.

So ,so ?! Vielmehr bereiten mir da zunehmend Sorgen, dass Amokläufer und Einzeltäter nicht nur aus der Rechten Szene,

“Jeder muss wissen, dass ein solches [NPD] Verbotsverfahren mit erheblichen Risiken behaftet ist”, sagte Friedrich der “Rheinischen Post”.

sondern auch aus nachfolgendem Milieu kommen, von dem unser Bundesinnenminister keinerlei Gefahr erkennen will

“Im Schützenverein gibt es flächendeckend vielseitige Angebote für alle Generationen und Leistungsstufen. Der Deutsche Schützenbund steht für mehr als sportliche Belange. Er macht mit seinem gesellschaftlichen Engagement Heimat sichtbar und erlebbar”, sagte der Bundesinnenminister.

Na, da fühle ich mich doch gleich viel sicherer…

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